Musik und Musizieren sind wichtige Impulsgeber für kindliche Bildungsprozesse – so ist es in allen Bildungsplänen der Bundesländer nachzulesen und kaum jemand würde dem Ziel widersprechen, dass musikalische Bildung einen festen Platz in der anregenden Umgebung in Kindertageseinrichtungen haben sollte. Aber wie sieht es in der Praxis aus? Ich glaube, ich begebe mich nicht auf allzu dünnes Eis, wenn ich behaupte, dass die musikalische Bildung in vielen Einrichtungen kaum eine Rolle spielt. Umso mehr habe ich mich deshalb in diesem Sommer gefreut, als sich gleich mehrere Studierende in meiner Veranstaltung zum Thema Inklusion mit Musik befassten: Student Paul Kühle hebt beispielsweise die verbindende Funktion der Musik hervor, weil „Herkunft, Bildungsstand und Behinderung automatisch in den Hintergrund treten“.

Vor diesem Hintergrund habe ich mit dem Kinderliedermacher Christof Balling gesprochen. Er arbeitet (auch) als Fachkraft für Sprache und Integration in Kindertageseinrichtungen. Im Sommer veröffentlichte er zusammen mit Produzent Dennis Schütze das „Ritter-Lied“.

Loris Malaguzzi hat gesagt, das Kind habe 100 Sprachen (und mehr). Er wollte damit auf die Vielfalt der kindlichen Ausdrucksmöglichkeiten hinweisen. Wie kann man Musik als Sprache beschreiben, was macht sie aus?

Welche Sprache die Sprache der Musik ist, ist mir nicht bekannt. Aber Musik ist Melodie, Rhythmus und Energie. Und was wäre Sprache ohne Rhythmus? Und wie klingt Sprache ohne Melodie? Musik berührt uns emotional-direkt ohne Umweg. Musik berührt Alle! Vielleicht ist sie die Ursprache des Menschen? Ist sie doch in der Lage Botschaften allein durch ihren Klang zu transportieren – auch ohne komplizierte Worte.

Ist der Kopf erst mal ausgeschaltet, und die Musik kommt ungefiltert aus uns heraus, dann ist gemeinsames Musizieren etwas Wunderbares!

Dir selbst ist in deiner Arbeit mit Kindern Musik sehr wichtig – wie ist es dazu gekommen?

Zum Musizieren im Kindergarten kam ich in erster Linie durch Vincent. Vincent hat das Downsyndrom ich begleitete ihn 5 Jahre, von der Krippe bis zur Einschulung. Vincent liebte Musik. Mitmachlieder waren das größte für ihn. Und singen konnte er viel eher als sprechen. Alle anderen Kinder, egal ob groß oder klein, zeigten ebenfalls deutlich ihre Begeisterung darüber, Teil einer musizierenden Truppe zu sein. Aber ich kannte nur wenige Mitmachlieder. Also Lieder, mit ergreifenden Melodien, kindgerechten Texten und Möglichkeiten, das Lied aktiv mit passenden Bewegungen zu begleiten. Also fing ich an selbst welche zu schreiben, mit dem Ziel eben genau dies in meinen Liedern zu vereinen. Auf Knopfdruck ging das allerdings nicht. Die Melodien kamen irgendwie zu mir. Auf einmal waren sie da. Fand ich sie gut, feilte ich so lange an einem Text, welcher meinen Ansprüchen genügte. Im Kopf malte ich mir aus, welche Bewegungen intuitiv dazu passen könnten und ob diese flüssig ineinander übergehen könnten. War ein Lied fertig, ging es ans Ausprobieren im Kindergarten.

Es war ein unbeschreibliches Gefühl zu sehen und zu hören, welchen Spaß die Kinder mit den Liedern hatten. Motivation genug um weitere Lieder zu schreiben.

Und welche Erfahrungen machst du, wenn du mit Kindern Musik machst, beispielsweise mit deinem Ritterlied?

Es ist immer wieder spannend zu sehen wie die Kinder auf bestimmte Lieder reagieren.

Bei bereits bekannten Liedern verschmelzen manche Kinder nahezu mit den Songs. Bereits automatisierte choreographische Bewegungen finden intuitiv statt und Textpassagen werden inbrünstig mitgegrölt. Einige Kinder gehen von Beginn an völlig aus sich heraus und sind dennoch ganz bei sich – im Lied und im Miteinander versunken. Manche Kinder beobachten, mit staunendem Blick, was da so plötzlich los ist in der Runde. Und wiederum andere, lassen sich durch das Geschehen anstecken und finden im Laufe des Liedes ihren Mitmachrhythmus. Aber letztlich sind alle wach und ihr Interesse ist auf die Musik gerichtet.

Die Energie innerhalb der Gruppe ändert sich spürbar beim Musikmachen. In jedem Fall wirkt sich diese Energie sehr positiv auf das Wohlbefinden aller Beteiligten aus.

Wie sieht es deiner Meinung nach mit den Hürden aus? Ich selbst muss ja gestehen, dass ich kein Musikinstrument wirklich beherrsche, deshalb habe ich immer den Eindruck, dass ich das Thema Musik den Profis überlassen sollte. So geht es sicher auch vielen Pädagog*innen in der Praxis. Wie siehst du das?

Ich selbst kann weder Noten, noch Takte, Rhythmen oder sonstiges von Blättern ablesen. Auch Singen kann ich eher durchschnittlich gut oder schlecht (- also nur Mut!).

Der Erfolg des gemeinsamen Musizierens ist abhängig von anderen Faktoren: Die Liedauswahl ist natürlich von Bedeutung… Stichwort: „Mitmachlieder“. Sind den Kindern schon viele Lieder bekannt, ist es sehr sinnvoll ein „Wunschkonzert“ zu veranstalten. Lieder werden von den Kindern zunächst vorgeschlagen. Nach Abstimmung werden beispielsweise die besten 3 gespielt („gespielt“- dieses Wort sagt eigentlich schon sehr viel aus;-) ).

Meiner Erfahrung nach ist es denkbar ungünstig beim Musizieren vom Blatt abzulesen. Demnach ist es von großer Bedeutung, gut vorbereitet sein.

Und: Präsenz zeigen ist wichtig! Je nachdem wie ich präsent und von dem erfreut und überzeugt bin, was ich da gerade singe und spiele, desto ansteckender wirke ich auf die Kinder. Das Gleiche gilt aus meiner Sicht auch für alle anderen, am Kreis beteiligten Erzieher*innen. Die Kinder spiegeln einfach was ihre Bezugspersonen ihnen vorleben. Ob das Gitarrenspiel und/oder der Gesang dabei eher mäßig oder virtuos ist, erachte ich eher als nebensächlich. Die eigene Begeisterung ist es, welche sich auf die Kinder überträgt. Es ist also nicht der „Profi- Musiker“, welcher für begeisterndes Musizieren im Kindergarten geeignet ist, sondern die*der Musikbegeisterte Erzieher*in, welche*r einen guten Draht zu den Kindern hat.

Wie geht es mit deinen Liedern weiter, welche Pläne hast du?

Ich mag gute Musik und bin davon überzeugt, dass selbstverständlich auch Kinder ein Recht auf anspruchsvolle Musik haben. Daher suche ich weiter nach schönen kindgerechten Songs und werde auch weiterhin selbst welche schreiben – so lange mir wieder etwas in den Sinn kommt. Im kommenden Sommer hoffe ich, meine erste CD mit ca. 12 -14 Liedern fertig gestellt zu haben. Die Aufnahmen hierzu sind im vollen Gange.

Mir ist im Gespräch mit Christof Balling noch mal klargeworden, dass die Ansprüche an das Musikmachen oft viel zu hoch sind und so letztlich unnötige Barrieren aufgebaut werden für das Musizieren mit Kindern. In seiner Expertise für das DJI spricht Johannes Beck-Neckermann (2011, 10) von einem offenen Musikbegriff, demzufolge „ein Kind musikalisch aktiv, wenn es Geräusche, Klänge, Rhythmen oder Töne wahrnimmt, sie exploriert oder mit ihnen gestaltet.“ (Hier geht’s zu seiner Homepage).

Dieser offene Musikbegriff ist gerade für Kindertageseinrichtungen ein nützlicher Impuls, der Hürden zum Musikmachen abbauen und für das Entdecken von Musik mit ALLE Kindern öffnen kann. Unter dieser Voraussetzung kann Musik ihre inklusive Wirkung auch für ALLE Fachkräfte entfalten – für musikalisch gebildete ebenso wie für musikalische Noviz*innen.

Literatur

Johannes Beck-Neckermann. 2011. Musik wird Sprache. Musikalisch-sprachliche Aktivität bei Kindern bis Drei. München: DJI 2011http://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs/672_13199_Expertise_JBN_Musik_wird_Sprache.pdf